Kumbh Mela 2013
Varanasi, Sonntag 10. Februar 2013. Abfahrt ist 08.00 oder sollte wenigstens sein. Meeraj, der Sohn von Manu, und seine zwei Kollegen sind natürlich zu spät und fragen mich noch einmal eindringlich, ob ich wirklich an die Kumbh Mela gehen wolle, es habe extrem viel Verkehr und einen Driver haben sich auch noch nicht. Ich schalte auf stur und so ist ganz plötzlich auch der Fahrer da und wir können abfahren Richtung Allahabad. Normalerweise dauert die hundertdreissig Kilometer lange Strecke knappe drei Stunden, wir haben mehr als fünf. Und die Fahrt ist ein Höllentrip, der Driver fährt völlig bekloppt, steht nicht nur auf dem Gaspedal, sondern ständig auch auf der Hupe. Ihn zu mahnen hat wahrscheinlich keinen grossen Sinn, er ist der Typ «beleidigt sein und jetzt erst recht». Erst als er einen Töfffahrer rammt, niemandem hat es etwas gemacht, schaltet er einen Gang zurück — und hat eine dolle Delle an seinem Göppel. Später wird er noch in einen Randstein fahren, das Auto sieht am Abend nicht mehr gleich aus, womit auch gesagt ist, dass wir überlebt haben.
Dreissig Kilometer vor Allahabad ist Schluss: Eine stehende Kolonne, nichts geht mehr. Das gefällt dem Driver aber gar nicht, er biegt kurz entschlossen in einen Feldweg ab und von nun an geht es im wahrsten Sinn über Stock und Stein, auf Nebensträsschen durch Natur pur und durch kleine Dörfer. Es wäre wunderbar, das alles in normalem Tempo und nicht im Zeitraffer zu geniessen. Etwa fünf Kilometer vor Sangam steigen wir aus und schliessen uns einem unvorstellbaren Menschenstrom an. Damit wir uns nicht verlieren, müssen wir uns ab und zu am Rockzipfel des Vorderen halten. Auf einer hohen Brücke machen wir kurz Halt und haben einen überwältigenden Ausblick auf die Kumbh Mela — man sollte ja vorsichtig sein mit Superlativen, aber…
In gemächlichem Tempo gehen wir Richtung Ganga, natürlich immer noch inmitten einer Riesenmenschenmenge. Die meisten Menschen sind ganz normale Inder und wenn nicht ab und zu ein Sadhu wäre, würde nicht viel auf einen religiösen Anlass hindeuten. Das ändert sich dann am Fluss, der extrem wenig und nicht sehr klares Wasser hat, wenn die Inder mit grosser Hingabe das Baderitual durchführen. Wir, Meeraj, Krishna, Junior Doctor und ich besteigen ein Boot und lassen uns zum tatsächlichen Ort führen, wo Ganga, Jamuna und Saraswati zusammenfliessen. Dort tauchen auch wir ab in die Brühe, es ist relativ kühl, aber: Ich hab es wirklich geschafft! An der Kumbh Mela ein Bad genommen!
Yaman
Bin ich jetzt die (paar wenigen) Sünden wirklich los? Wir verzichten darauf, irgendwelche Ashrams oder interessante, fotogene Gurus zu besuchen, es hat schlicht zu viele Leute. Heute ist es auch nicht irgend eine religiöse oder spirituelle Stimmung, die diesen Anlass so einzigartig macht, sondern die Menschenmasse, die einer Stimme gehorchend, ein Ritual durchführt. Unwillkürlich kommt mir der Ameisenstaat in den Sinn, wo die einzelne Ameise nichts und der Ameisenstaat alles ist. Was insofern erstaunlich ist, da sich die Inder ja nicht unbedingt als homogene Einheit, wie vielleicht die Japaner, sehen und definieren. Es ist schon so, dass Indien nur schwer zu begreifen ist. Die Jungs mit mir, alle etwa fünfundzwanzig, sind offensichtlich weit weniger ergriffen als ich, der uncle. Und sind auch rührend um mein Wohl besorgt, uncle, don’t do that! Be careful! etc. Aber im Grunde sind es sehr erfrischende Jungs, jeder hat seine Rolle, sie lachen viel und machen Spässe. Sie, und der ganze Trip, erinnert mich ein wenig an die Drei in Zindagi Na Milegi Dobara - und ich als Katrina Kaif ;-). Die Rückfahrt mit dem (gleichen) Fahrer ist nicht weniger nervenaufreibend, aber ich bin ziemlich müde und bin in einer fatalistischen Stimmung, bei kritischen Situtationen schliesse ich einfach die Augen oder schaue weg. Es ist beinahe zehn Uhr, im Hotel Alka hat es nur noch zwei Personen, ich bestelle mir ein (sündhaft — jetzt beginnen die Sünden bereits wieder — teures) Bier, Munna meint, er würde NIE an die Kumbh Mela gehen, zu viele Leute. Auf der Webseite der «Times of India» lese ich, dass im Zugbahnhof von Allahabad durch den Menschenauflauf eine Gleisübergangsbrücke gebrochen ist — 36 Tote. Ursprünglich habe ich mir ja ein Zug-Retourticket Varanasi — Allahabad für den 10. Februar gekauft und dann doch gecancelled…