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Film-Geschichte

Vom Anfang bis heu­te
Im Juli 1897 fin­det in Bom­bay die ers­te Film­vor­stel­lung statt, vor allem die Leu­te in den Gross­städ­ten sind begeis­tert vom neu­en Medi­um. 1899 ent­steht der ers­te indi­sche Kurz­film und 1913 dreht Dhun­d­iraj Govind Phal­keden Spiel­film Raja Harish­chan­dra. Alam Ara ist 1931 der ers­te Ton­film und mit sei­nen Musik- und Tanz­ein­la­gen der eigent­li­che Begrün­der des sehr popu­lä­ren Hin­di­films. Von nun an fin­den aus­län­di­sche Fil­me kaum mehr Beach­tung, der Anteil sinkt auf 10%. 1933 wird bereits der ers­te Farb­film ver­öf­fent­licht, es dau­ert aber noch Jahr­zehn­te, bis der Farb­film die Regel ist.

Nach der Unab­hän­gig­keit Indi­ens (1947) ist der Hin­di-Film eine Zeit­lang nicht mehr unum­strit­ten. Die indi­sche Regie­rung unter dem Sozia­lis­ten Neh­ru ist der kom­mer­zi­el­len Film­in­dus­trie gegen­über kri­tisch ein­ge­stellt, allein vor allem die indi­sche Ober­schicht lässt sich das Film­ver­gnü­gen nicht ver­gäl­len. In die­ser Zeit ent­ste­hen auch die sozi­al­kri­ti­schen, neo­rea­lis­ti­schen Fil­me rus­si­scher Prä­gung (Mother India). Gleich­zei­tig «expan­diert» der indi­sche Film an exo­ti­sche Dreh­or­te (u.a. Schweiz) um dem Publi­kum mög­lichst aus­ge­fal­le­ne Sze­nen zu bie­ten (San­gam, Dil­wa­le Dul­ha­nia Le Jay­en­ge). Der Schau­spie­ler und die Schau­spie­le­rin wer­den nun immer wich­ti­ger, viel­fach ist das Kri­te­ri­um für einen erfolg­rei­chen Film nicht jedoch die Sto­ry, Tanz und Gesang, son­dern wer im Film mit­spielt. Es beginnt ein wohl ein­zig­ar­ti­ger Star­kult, der bis heu­te anhält. Nicht sel­ten wech­seln Schau­spie­ler nach der Film­kar­rie­re in die Poli­tik (das gibt’s auch in Ame­ri­ka…), ihr Able­ben ist eine natio­na­le Tragödie.

In den 20 Jah­ren zwi­schen 1960 und 1980 steigt Indi­en zur welt­weit gröss­ten Film­na­ti­on auf (was die Anzahl der pro­du­zier­ten Fil­me betrifft), zu den gän­gi­gen Film­gen­res kom­men nun Action- und Thril­ler­strei­fen, die Musik­ein­la­gen neh­men ab und die Gewalt­sze­nen zu. Die Moti­ve sind viel­fach Rache und die Suche nach der Gerech­tig­keit. Der bekann­tes­te Ver­tre­ter die­ser Film­rol­le war und ist Amit­abh Bach­chan — der angry young man.

Was oft ver­ges­sen wird, ist die Tat­sa­che, dass Indi­en bis Ende der 80er Jah­re ein sozia­lis­ti­sches Land mit rela­tiv geschlos­se­nen Gren­zen ist. Mit Beginn der Öff­nung flies­sen auch west­li­ches Gedan­ken­gut und Kon­sum­den­ken nach Bol­ly­wood, die Film­the­men sind oft die Aus­ein­an­der­set­zung des tra­di­tio­nel­len mit dem «moder­nen» Indi­en in Kul­tur, Fami­lie und Gesell­schaft. Wenn auch um eini­ges spä­ter als im Wes­ten ver­än­dert sich die Medi­en­land­schaft in Indi­en, Fern­se­hen und Inter­net wer­den als Frei­zeit­ver­gnü­gen zuneh­mend Kon­kur­ren­ten. Bol­ly­wood ver­sucht den Bedürf­nis­sen des indi­schen Publi­kums mit ver­mehrt «west­li­chen» Film-Ideen und ‑Scripts gerecht zu wer­den. Die­se Annä­he­run­gen haben zur Fol­ge, dass der indi­sche Film im Wes­ten an Akzep­tanz gewinnt und auch ver­mehrt indi­sche Schau­spie­ler und Schau­spie­le­rin­nen in west­li­chen Fil­men auf­tre­ten. Mög­li­cher­wei­se ist mit dem Tod der indi­schen Regie-Legen­de Yash Cho­pra 2012 und sei­nem letz­ten Film Jab Tak Hai Jaan erneut eine Ära zu Ende gegan­gen. Freu­en wir uns trotz­dem auf inter­es­san­te und bun­te Bollywood-Filme!

Hin­ter­grund
Der indi­sche Film ist so viel­fäl­tig wie das Land mit den 1.2 Mia Ein­woh­nern, den 21 offi­zi­el­len Lan­des­spra­chen, den Berg‑, Wüs­ten- und Tro­pen-Gegen­den. Trotz aller Viel­falt ori­en­tie­ren sich die Film­ge­schich­ten an rela­tiv stren­gen «Mus­tern». Da bis weit in die 80er Jah­re der aus­se­r­asia­ti­sche Ein­fluss (Hol­ly­wood, Euro­pa) unbe­deu­tend ist, ent­wi­ckelt sich eine ein­zig­ar­ti­ge Film­in­dus­trie. Geprägt ist das indi­sche Film­schaf­fen von einer tie­fen Ver­wur­ze­lung der indi­schen Gesell­schaft in den kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Mythen und beein­flusst von den hin­du­is­ti­schen Epen Mah­ab­ha­ra­ta und Rama­ya­na. Im typi­schen Bol­ly­wood-Film kämpft das Gute gegen das Böse genau­so wie die Göt­ter die Dämo­nen bekämp­fen. Man kann sogar soweit gehen und sagen, dass das Dhar­ma — die hin­du­is­ti­sche und bud­dhis­ti­sche Leh­re von Gesetz, Recht und Sit­te und den ethi­schen Ver­pflich­tun­gen — sehr star­ken Ein­fluss auf den Film hat. Die Span­nung im Film wird nicht durch das (fast, aber nicht immer…) obli­ga­te Hap­py End oder durch kom­ple­xe Hand­lun­gen erzeugt, son­dern durch die Art, wie Gute über Bös gewinnt und wie ethi­sche Grund­sät­ze umge­setzt wer­den. Der Film ist also nicht nur mora­li­scher Leit­fa­den, son­dern auch ein kla­res Spie­gel­bild der indi­schen Kul­tur, die für west­li­ches Den­ken ziem­lich fremd sein kann. Das Frau­en­bild z. B., das in indi­schen Fil­men oft und dras­tisch mit­ge­teilt wird, ist gelin­de gesagt frag­wür­dig.
Für west­li­che Zuschau­er kann die Struk­tur des indi­schen Films mit Tanz- und Musik­ein­la­gen am ehes­ten mit hie­si­gen Musi­cals ver­gli­chen wer­den, in der indi­schen Kul­tur ist aber Gesang und Tanz ein fes­ter Bestand­teil seit Jahr­tau­sen­den, ja der Tanz ist bei­na­he eine hei­li­ge Hand­lung: Shi­va — König der Tän­zer — ist einer der drei wich­tigs­ten Göt­ter im Hin­du­is­mus. Im Gegen­satz zum Tanz schei­nen die Musik und die Songs in den Fil­men nur bedingt von der tra­di­tio­nel­len indi­schen Musik abge­lei­tet zu sein. Schon früh haben die Film-Kom­po­nis­ten mit dem Gemisch aus Pop­song und tra­di­tio­nel­ler Musik wah­ren Kult-Sta­tus erreicht (R. D. Bur­man), A. R. Rah­man erhielt für die Musik zu Slum­dog Mil­lion­aire einen Oskar. Eine Beson­der­heit ist zudem, dass die Film-Musik eines Films meist frü­her ver­öf­fent­licht wird und einen wich­ti­gen Anhalts­punkt gibt über die Akzep­tanz des Filmes.

Ver­glei­che auch Julia Schu­berts «Bol­ly­wood — Ein­bli­cke in den popu­lä­ren indi­schen Film»
Erschei­nungs­jahr: 2013, Ver­lag: Grin Ver­lag, ISBN: 3656203628

Kaa­gaz Ke Phool (1959)

Jab Tak Hai Jaan (2012)